Andreas Keller
Andreas Keller

Aktuelles

Stich und Schrack: Kategorien der Plötzlichkeit im mystischen Versprachlichungsprozess. In: Mystique, langage, image. Montrer l’invisible / Mystik, Sprache, Bild. Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren. Hg. René Wetzel und Laurence Wuidar. Fribourg (CH) 2022.

 

"Von Martino Luther selbs teütsch gemacht". Zur Problematik der Selbstübersetzung im 16. Jahrhundert. In: Selbstübersetzung als Wissenstransfer/Self-Translation as Transfer of Knowledge. Hg. Stefan Willer und Andreas Keller. Berlin 2020, S. 15-48.

 

Carl Hauptmann als Filmtheoretiker. In: Carl und Gerhart Hauptmann im ästhetischen Diskurs ihrer Zeit. Hg. Mirosława Czarnecka, Edward Białek. Leipzig 2020, S. 113-135.

 

Bildung als Ideal und Beredsamkeit als Praxis: Systemkollisionen um 1800. In: Über Wissenschaft reden. Hrsg. Claude Haas und Daniel Weidner. Berlin 2020, S. 144-186. 

 

 

"Weltliteratur" in der Frühen Neuzeit? Zur Frage der Rückprojektion einer prospektiven Kategorie. In: Weltliteratur(en). Zugänge, Modelle, Analysen eines Konzepts im Übergang. Hrsg. Patricia Gwozdz und Markus Lenz. Heidelberg 2018.

Folgt man einer These von Horst Steinmetz, dann hat die von Goethe initiierte Vorstellung einer „Weltliteratur“ mit der literarischen Welt vor 1800 prinzipiell nichts zu tun: Steinmetz forderte kategorisch, „Weltliteratur als Begriff und Bezeichnung“ ausschließlich auf Werke anzuwenden, „die seit Beginn des 19. Jahrhunderts erscheinen. Weltliteratur würde auf diese Weise zum Namen einer Epoche, mit dem die Geschichte der Literatur der letzten zweihundert Jahre charakterisiert werden könnte.“ Die Frühe Neuzeit aber, die als eigentümliche Makroperiode allenfalls bis in die Zeit um 1730 reichen würde, läge damit außerhalb des Geltungsbereiches von Idee und Praxis einer „Weltliteratur“ − die als „Epoche“ dann freilich auch niemals enden würde. Damit hätte Goethe eine beispiellose Zäsur gesetzt und mit schöpfergleicher Allmacht auf ewig zwei zeitliche Sphären geschieden. [...]
Umgehend aber muss auch die Gegenthese, etwa eine bedenkenlose Rückprojektion und damit die flächendeckende Vereinnahmung der Vorzeiten mit einer von Goethe auf seine Gegenwart bzw. Zukunft ausgelegten Kategorie als ebenso fragwüdig erscheinen. Das könnte ja einmal mehr bedeuten, die Frühe Neuzeit mit Terminologien bzw. Vorstellungen des Klassizismus zu vereinnahmen und sie, etwa im Tenor des späten 19. Jahrhunderts, für eine zwingend „gescheiterte“ Periode oder allenfalls eine „lutherische Pause“ ohne „künstlerischen Lebensinhalt“ (Wolfgang Stammler 1927) zu erklären. Aber auch ohne eine ästhetische Wertung drohte immer noch die Gefahr einer unzulässigen Angleichung an epochenfremde Normen und Strukturen.

Als legitimes Verfahren bliebe in jedem Fall, die Kriterien aus Weimar einmal probeweise auf ihre eigene Vergangenheit anzuwenden, auch um vielleicht ihrer historischen Genese etwas genauer nachzuspüren. Reizvoll erscheint es ja durchaus, „Weltliteratur“ ganz unverbindlich als Problemkategorie für die Frühe Neuzeit anzusetzen, nicht um fremde Epochensubstanzen zu injizieren, sondern um ein festgeschriebenes Denkbild mit einem bewusst inkongruenten Profil zu konfrontieren, in der schlichten Erwartung, die Wahrnehmung einer Alterität schärfen zu können. Nicht zuletzt ließen sich vielleicht aber auch die strukturellen Vorleistungen der Frühen Neuzeit für die ihr folgenden Epochen ein Stück weit präziser bestimmen. [...]

Reiseliteratur. Zusammen mit Winfried Siebers. Darmstadt 2017.

 

Reiseliteratur entsteht seit der Antike. In besonders großer Zahl wurden Reiseberichte seit der Frühen Neuzeit verfasst. Die sozialen, medialen und wissenschaftlichen Veränderungen im 19. und 20. Jh. verstärkten die Entwicklung noch. Die Einführung behandelt Texte, die vor, während und nach der Reise entstehen. Darunter finden sich faktenbasierte Führer, flüchtige Eindrücke in Journalen oder Briefen und literarisch ambitionierte Reisebücher. Geschichte, Theorie und Interpretation der kulturgeschichtlich aussagestarken Gattung werden gleichermaßen in den Blick genommen. Eine leicht verständliche Anleitung zum methodischen Umgang mit Reisewerken findet in exemplarischen Analysen ihre praktische Ergänzung. Hierzu herangezogen werden u.a. Georg Forsters ›Reise um die Welt‹ (1778-1780), Heinrich Heines ›Reisebilder‹ (1826-1831) Lou Andreas-Salomés ›Tagebuch der Reise mit Rainer Maria Rilke‹ (1900), Annemarie Schwarzenbachs Feuilletons und Berichte aus Persien (1930er), Navid Kermanis Reportagen über die "Balkanroute" (2016).

Hrsg. von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal. WBG Darmstadt 2017. 184 S. mit 8 10 s/w Abb., Bibliogr. und Reg., 16,5 x 24 cm, kart.

 

Tough! Modischer Anglizismus oder semantischer Re-Import? In: Wörter aus der Fremde. Begriffsgeschichte als Übersetzungsgeschichte. Hrsg. Falko Schmieder und Georg Toepfer. Berlin 2017.

"Toughness has been rather out of fashion, as a masculine virtue," so William Gibson schon 2002. Die "toughe Frau" scheint dagegen noch in aller Munde: zumindest im deutschsprachigen Raum gilt "tough" als reflexartig einspringende Vokabel für die Kennzeichnung weiblicher Erfolgstypen: "kämpfende Amazone", "eiserne Lady" oder "superwoman" bleiben als denkbare Synonyme ohne jede Chance. In hoffnungslos inflationärem Gebrauch schreiben die Titelzeilen der Lifestyle- und Frauenmagazine nahezu jeder in den Fokus gerückten Person das Epitheton zu, das zumindest in dieser Verwendung als unübersetzbar gelten muss, vielleicht aber auch gar keiner Übersetzung bedarf: handelt es sich doch ─ entgegen allem Anschein ─ um ein deutsches Wort, vermutlich so urdeutsch wie "Handy". [...]

Renaissance Nymphs as Intermediaries in Early Modern German Territorial Politics. In: Nymphs in Renaissance art and literature. Ed. by Karl Enenkel and Anita Traninger. Leiden Boston 2018, pp. 238-264.

There is no genre like the eclogue to show the complex process of productive appropriation and modified reanimation of ancient forms. It predominantly shows shepherds with their sheep in a contemplative state of rest in nature, far away from the cities. As a mixed genre it has at its disposal a variety of techniques for describing the peaceful life of the countryside in poetic form, for discussing it in dialogue or praising it lyrically. Even the most famous and influential works of ancient pastoral literature, Theocritus’s Idylls and Vergil’s Eclogues, however, include identifiable, albeit cryptic, statements concerning the urgent problems of society at the time of their origin: the shepherds address war, flight and questions of leadership. [...]

The focus is on historico-cultural processes in the German-speaking world during the interesting late phase of the Renaissance in the seventeenth century. An exemplary and contrastive look at the type, role and function of nymphs in the German eclogues is ideally suited to make clear the deeper ties between religion, politics and literature in the process of the productive reception of antiquity. I proceed in six steps: (1) the traditional imitatio of the eclogue and a new prototype in the work of Martin Opitz; (2) German territorial questions and local nymph figures; (3) nymphs as guardians of secret knowledge; (4) nymphs and alchemical processes; (5) nymphs and Christianity: angels and pagan forms; (6) conclusion: the poet inspired by a nymph as advisor to the ruler. [...]

 

Heiligenlegenden: Aufklären mit den Mitteln des Aberglaubens oder Rettung des Christentums im Rückgriff auf dessen erzählerische Vorformen? In: Akten der IZEA Jahrestagung 2015. Hrsg. Frauke Berndt und Daniel Fulda. Berlin 2018.

Aufklärung kann sehr radikal sein, auch und gerade in Fragen der Narratologie: im Namen der Vernunft gilt es nämlich die Vernichtung einer der ältesten und populärsten Erzählformen überhaupt: es geht gegen die Darstellung von Wundern, Selbstopfern und Martyrien bzw. anderen unwahrscheinlichen Formen der exemplarischen Glaubensstärke. In den Viten der Heiligen will man daher den „höchste[n] Triumph verkrüppelter Mönchsphantasie" und verderbliche Wucherungen "des bodenlosesten Aberwitzes“ erkennen, nichts als „ungeheure Ausschweifungen eines religiösen Wahnsinnes" ─ wie es noch 1804 in Friedrich Nicolais NDB heißt. Hier gilt es selbstverständlich die Axt des Fortschritts anzulegen, ja man beabsichtigt offenbar mit einer einzelnen epischen Kleingattung gleich das ganze Übel bei der Wurzel zu packen: mit der Heiligenlegende will man nichts weniger als den Hort der "Verstandesverwirrung" und der "baare[n] Unvernunft" aus dem gesellschaftlichen Diskurs entfernen, ja aus dem Gedächtnis der Menschheit überhaupt. [...]

Bei so viel Ablehnung, Widerstand und Stigmatisierung müsste die Legendenproduktion eigentlich abbrechen und versiegen. Stattdessen aber schreiben nicht nur Goethe, Bürger, Schubart und Herder Legenden, auch das Studium, die Pflege und Sammlung der tradierten Formen setzt sich bekanntlich weit über das 19. Jahrhundert bis in unsere Tage fort. Legenden als Narrative bleiben anerkannt bis in die Reihen der Agnostiker und Atheisten, von Gottfried Keller bis zu Kurt Flasch. Zu fragen bliebe also: was sind die Faktoren, die eine Erzählform wie die Legende gerade in ihrer kritischen Phase zwischen 1750 und 1800 überleben lassen?

 

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Andreas Keller

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